img086Kapitel 3
Delphi Johns Version

Ich ging ohne Umschweife zu einem der hinteren Plätze und setze mich in den bequemen Sitz. Der Bus füllte sich zügig und wenige Minuten später fuhren wir los. Einige Augenblicke später erhob sich John und griff zum Mikrophon.
»Hallo, liebe Reisegruppe. Ferfried bat mich euch etwas über Delphi zu erzählen, was ich auch wirklich gern mache, denn ihr müsst wissen, dass kein anderer Delphi so gut kennt, wie ich. Ich war mit der Pythia sehr lange befreundet.«
Unter Gelächter erhob sich Applaus. John verstand es, die Gruppe im Reisebus komplett zu vereinnahmen und in seinen Bann zu ziehen. Ich spürte, wie ich neugierig auf Johns ‚Delphi Version‘ wurde. John sah in die Gesichter der Reisenden, so als wollte er sich jeden einzeln einprägen.
»Werte Reisende, vor tausenden von Jahren zogen, so wie wir heute in einem modernen Reisebus, Pilger auf Pferden und in Sänften aus der bekannten Welt gen Delphi. Bevor Delphi dem Apollon geweiht wurde, verehrte man dort die Erdmutter mit Namen Gaia.«
Erstaunte Blicke kreisten umher und einige der Anwesenden tuschelten untereinander. John hob kurz die Arme und es wurde wieder still.
»Apollon hatte viele Namen. Doch dies ist der Name, unter dem wir ihn kennen. Er bedeutet der Lichtbringende, der Heilende. Doch als der Lichtbringende spielt er in unserem inneren, spirituellen Wachsen eine große Rolle. Lasst mich euch erzählen, wie ich ihn kennenlernte.«
Gelächter füllte den Reisebus, doch John blieb weiterhin ernst. Das Lachen beruhigte sich. Hier und da war noch ein leises Kichern zu hören, als John weitersprach.
»Nun, mein Freund Apollon ist älter als die Erwähnung der griechischen Mythologie und die Erschaffung der Götter. Apollon ist an sich der erste Weisheitslehrer der Geschichte, denn er hinterließ uns die größte Formel der Eigenarbeit, und zwar den Satz: Erkenne dich selbst und du erkennst Gott in dir. Ein Hinweis, der leider zu oft fehlinterpretiert wird. Yeshua, euch besser bekannt als Jesus, erwähnte diesen Satz in einer anderen Version, ich und der Vater sind eins … Ihr seid in mir … nur um ein paar Beispiele zu nennen. Apollon war selbst ein Wanderer zwischen der spirituellen und göttlichen Welt, sowie der Welt der Sterblichen und der Materie. Er zeigte dem Menschen, der gefangen war von den Mächten des Schicksals und den Flüchen seiner Ahnen, dass es immer eine Veränderung geben kann. Immer, wenn man aus wahrem Herzen dazu bereit ist.
Es geht hier um das Bewusstsein jedes einzelnen Menschen, der sein geistiges Antlitz der Sonne zuwenden möchte. Interessant sind dabei alle Symbole, die Apollon verwendet.«
Einige der Reiseteilnehmer sahen total verzückt zu John und machten sich Notizen. Einige legten ihre Hände auf ihr Herz und lächelten mit geschlossenen Augen. Und ich? Nun, ich fragte mich langsam, ob diese Reisegruppe mit ihrem komischen Auftreten wirklich das Richtige für mich wäre. Ich blickte verstohlen zu Ferfried hinüber und sah, dass er Johns Erklärungen auf einem Diktiergerät aufnahm. Also wirklich, das fand ich schon etwas dreist. John schien dies alles nicht zu stören. Entspannt lächelte er die Gruppe an und gab jedem das Gefühl, nur für ihn zu lächeln.
Es war sehr merkwürdig, was diese Erzählung in mir auslöste. Alles in mir bejahte das gerade Gehörte. Obwohl mein Verstand mir laut klar machen wollte, dass John viel ausschmückte und den lieben Esoterikern zuliebe einige Begebenheiten hinzu erfand, fühlte es sich in meinem Herzen richtig an. Es war doch an den Haaren herbeigezogen, dass er Apollon und die Pythia kannte. Dies würde ja bedeuten, dass die griechischen Götter real wären. Oder war es Johns Art von Humor, um die Geschichte etwas interessanter zu gestalten?
Wie auch immer, er konnte spannend erzählen und ich vermutete langsam, dass hinter dem Begriff spirituelle Rundreise, eher Märchenfahrt gemeint war.
»Entschuldigung«, hörte ich hinter mir eine zaghafte Frauenstimme, »könnten Sie uns mehr über die Pythia erzählen?« Zustimmendes Murmeln erfüllte den Raum. John schien auf diese Aufforderung gewartet zu haben. Theatralisch breitete er seine Arme aus und begann, seine Geschichte über seine angebliche Freundin, in der mir mittlerweile bekannten Johnart zu erzählen.
»Ah, die Pythia«, schwärmte er und hielt kurz inne, um diesen einzigen Satz sekundenlang im Raum schweben zu lassen. Es herrschte absolute Stille. Alle Augenpaare blickten erwartungsvoll zu John und erwarteten seine weiteren Ausführungen. John strich sich kurz mit der Hand über die Augen und hielt diese für einige Augenblicke geschlossen.